«Borussia Dortmund ist Deutscher Markenmeister»…
… titelt das Handelsblatt am 12.9.2016 und zitiert damit eine Studie der TU Braunschweig, in der es auch heisst: «Als ärgster Verfolger von Borussia Dortmund kehrt der FC Bayern München… auf den zweiten Rang im Vereinsmarkenranking zurück.» (i)
Der (neutrale) Fussballexperte wird sich die Augen reiben. Ticken in der Welt der Marken die Uhren anders als in der Sportwelt? Das wäre noch lächelnd hinzunehmen. Da Marken als kritische Erfolgsfaktoren im Wettbewerb eine bedeutende Rolle in der Wirtschaft und damit natürlich auch im Profifussball spielen – also sehr wertvoll sind -, darf ein derart überraschendes Ergebnis einer wissenschaftlichen Studie aber nicht ungeprüft bleiben. Was hat es also mit dieser «Fussballstudie» auf sich?
Die Fussballstudie
Die Studie wird seit fünf Jahren durchgeführt. Verantwortlich zeichnet David M. Woisetschläger, Professor für Dienstleistungsmanagement an der Technischen Universität Braunschweig (ii). Als Ergebnis einer Umfrage wird ein Markenranking der Vereine der ersten und zweiten Bundesliga präsentiert. Fünffacher Markenmeister (seit es die Studie gibt): Borussia Dortmund.
Basierend auf den Umfrageergebnissen werden ebenfalls Vorschläge zur Verbesserung des Markenmanagements der Vereine gemacht. Zum Beispiel erlauben die Studienergebnisse in den Augen ihrer Autoren eine Optimierung bei der Auswahl der jeweiligen Sponsoren. In der diesjährigen Studie werden zudem Überlegungen zur Modifikation der Verteilung der TV-Gelder präsentiert, die lose im Zusammenhang mit den Umfrageergebnissen stehen. (iii)
Das empirische Fundament
Als Basis dient eine deutschlandweit durchgeführte, repräsentative online-Befragung mit mehr als 4000 Befragten. Erfragt werden im Kern zwei Komplexe (i): Wie bekannt ist ihnen der jeweilige Verein? (ii) Welche Meinung haben sie von dem Verein? Wie gut, attraktiv und sympathisch ist er? Die Zusammenführung der Werte des in der Studie sogenannten «Markenbewusstseins» mit jenem der «Markenassoziationen» ergibt dann die «Markenstärke». Als Ergebnis entsteht das Ranking aller Vereine. Man darf sicher unterstellen, dass die Studie befragungstechnisch professionell und damit entsprechend des aktuellen wissenschaftlichen Standards vorgeht.
Es wird aus der Printausgabe der Studie nicht klar, ob mit der Befragung die für die Bestimmung der Markenstärke und die für die wirtschaftlichen Konsequenzen relevante Zielgruppe befragt wird. Wird repräsentativ die gesamte deutsche Bevölkerung angefragt? Wenn ja, wollen Fussballvereine wirklich die gesamte deutsche Bevölkerung ansprechen? Erzielen sie tatsächlich mit der gesamten deutschen Bevölkerung ihre wirtschaftlichen Erträge (Eintritte, Catering, Merchandising, Werbung, Sponsoring-Gelder, TV-Gelder, Transfergeschäft etc.)?
Der Verweis auf die Geschäftsgrundlage der Fussballvereine macht direkt deutlich, dass die Beschränkung der Befragung auf Deutschland ihre Relevanz für die unternehmerischen Belange zumindest der führenden Vereine massiv einschränkt: die Einkommensbasis dieser Vereine ist sicher in hohem, und wohl auch steigendem, Umfang vom internationalen Markt abhängig.
Markentheoretische Defizite
Mit dieser wirtschaftlichen Betrachtungsebene ergibt sich die zweite, und bedeutendere, Frage an Studie: Wie robust sind die markentheoretischen Grundlagen der Studie? Um es kurz zu machen und pointiert auszudrücken: Die Studie hilft sehr wenig weiter, wenn man daran interessiert ist, eine starke Marke zu haben oder aufzubauen.
Die Autoren der Studie haben vollkommen recht, wenn sie auf die grundlegende Bedeutung hinweisen, die im «Millionengeschäft Fussball-Bundesliga… die Bewertung der Markenstärke» hat. Sie haben ebenso recht, wenn sie die «Vorteilhaftigkeit einer starken Marke … für die Vereine» und die «Relevanz des Markenmanagements für den wirtschaftlichen Vereinserfolg» hervorheben. Leider können sie genau zu diesen Themen nur sehr wenig beitragen.(iv)
Wir können, wie gesagt, unterstellen, dass die Studie befragungstechnisch professionell arbeitet. Und wir können für einen Moment vergessen, dass sie mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht die relevante Zielgruppe, d.h. nicht die Zielgruppe, von denen das wirtschaftliche Wohlergehen der (zumindest führenden) Vereine abhängt, befragt.
Dann bleibt immer noch das dramatische methodische Defizit, dass markentheoretisch zwar geäusserte Meinungen und Einstellungen abgefragt werden, nicht jedoch die Nachfragebereitschaft der relevanten Zielgruppen erfasst wird. Die Studie macht Aussagen dazu, wie bekannt ein Verein (in Deutschland) ist. Sie macht Aussagen dazu, was Menschen (in Deutschland) von den einzelnen Vereinen halten. Bezeichnen die Menschen die Vereine als mehr oder weniger «gut», «attraktiv», «sympathisch»? (v) Was auch immer man von der Ehrlichkeit von Befragten in derartigen Befragungssituationen halten mag (es gibt da durchaus ernstzunehmende Zweifel unter Experten), in keinem Fall erlauben diese geäusserten Meinungen Aussagen darüber, inwiefern die Befragten, heute und in Zukunft, bereit sind, die Leistungen der Vereine auch tatsächlich nachzufragen: als Zuschauer, Käufer von Fanartikeln, bereit die Angebote von Sponsoren verstärkt nachzufragen, etc. etc. Um genau diese Aussagen geht es aber, wenn man am (wirtschaftlichen) Wert einer Marke, an der geschäftsrelevanten Markenstärke, am Ende wirklich interessiert ist – und beispielsweise nicht vordergründig wissen will, wie beliebt eine Marke bei der generellen Bevölkerung in bestimmten Regionen oder Ländern ist.
Der ewige Verfolger FC Bayern München?
Fragen wir schliesslich konkret nach, wie es die Studie schafft, den FC Bayern München als ewigen Verfolger des langjährigen Markenmeisters Borussia Dortmund zu positionieren.
Die Zahlen:
(1) «Bekanntheit»: FC Bayern München 100%; Borussia Dortmund 98,57%.
(2) «Einstellung»: Borussia Dortmund 67,39; FC Bayern München 59,43.
Die «Einstellung» (2) setzt sich zusammen aus:
(a) «sehr sympathisch»: Borussia Dortmund 67,03; FC Bayern München 46,53.
(b) «sehr gut»: FC Bayern München 70,44; Borussia Dortmund 68,66.
(c) «sehr attraktiv»: Borussia Dortmund 66,40; FC Bayern München 61,31.
Wenn man – wie in der Studie geschehen (vi) – nun die «Bekanntheit» («Markenbewusstsein») mit der «Einstellung» («Markenassoziationen») multipliziert, dann wird Borussia Dortmund mit einem «Markenindex» («Markenstärke») von 66,43 Fussball-Vereinsmeister vor dem Verfolger FC Bayern München mit 59,43.
Dies mag nach «Wissenschaft» klingen. Und Wissenschaft darf es ja auch zu ihren ehrenwertesten Eigenschaften zählen, die Intuition von (vermeintlichen) Experten oder den gesunden Menschenverstand des Stammtisches zu widerlegen, die beide wohl umgehend den FC Bayern München auch zum deutschen Markenmeister küren würden. Beide können wohl kaum mit der Erkenntnis erschüttert werden, dass Borussia Dortmund Vielen in Deutschland als sympathischer erscheint als der FC Bayern München. Für die (wissenschaftliche) Fundierung dieser breit geteilten Aussage mag man der Studie danken. Sie benennt damit vielleicht auch eine Herausforderung für die Vereinsführung und das Markenmanagement des FC Bayern München. (vii)
Die stärkste Marke: der FC Bayern München
Aber die Studie trägt damit wenig zur Beantwortung der Frage bei, welche Marke im deutschen Profifussball die stärkste und wertvollste ist. Wer würde daran zweifeln wollen, dass auch diese Meisterschaft uneingeschränkt seit einigen Jahren und wohl auch noch für längere Zeit dem FC Bayern München gehört. Worauf sollten sich derartige Zweifel auch markentheoretisch fundiert beziehen können? Keine Marke aus dem deutschen Fussball hat international bei sport- bzw. fussballaffinen Zielgruppen eine so grosse Bekanntheit wie der FC Bayern München. Keine Marke aus dem deutschen Fussball strahlt weltweit eine so hohe Attraktivität aus wie der FC Bayern München. Und keine Marke aus dem deutschen Fussball ist in ähnlichem Umfang dazu in der Lage, zahlungsfähige und -willige Nachfrage für sich bei Zuschauern, fussballbegeisterten Konsumenten und Mäzenen, Veranstaltern, Medienmachern, Sponsoren usw. zu schaffen wie der FC Bayern München.
Auch wenn wohl noch keine wissenschaftliche Studie robuste konkrete Zahlen hierzu liefert, steht es doch aus Markensicht fest, dass der FC Bayern München die stärkste, weil wertvollste Marke im deutschen Profifussball ist. Damit muss der Titel von Presseberichten eindeutig lauten: Der FC Bayern München ist deutscher Markenmeister.
Abschliessend und zusammenfassend sei noch eine Analogie erlaubt. Übertragen auf den sportlichen Bereich fordert die Studie dazu, den deutschen Fussballmeister nicht mehr anhand von Spielergebnissen zu ermitteln. Stattdessen schlagen sie eine Befragung vor: Die deutsche Bevölkerung sollte jeweils ihre Meinung dazu äussern, welche Vereine wohl gespielt haben und welche Mannschaft beim Spiel die besten Haltungs- und Stilnoten verdient hat. Die Befragten dürften das betreffende Spiel nicht gesehen haben. Und sie müssen nicht unbedingt etwas vom Spiel verstehen.
Prof. Dr. Jürgen Häusler ist Markenexperte und Mitglied des Verwaltungsrats bei evoq, sowie Honorarprofessor für strategische Unternehmenskommunikation und Chairman von Interbrand Central and Eastern Europe bis zum Eintritt in den Ruhestand.
i David M. Woisetschläger, Christof Backhaus, Jan Dreisbach: Fußballstudie 2016. Die Markenlandschaft der Fußball-Bundesliga, Braunschweig 2016 (erschienen im Rahmen der Reihe „Arbeitspapiere des Instituts für Automobilwirtschaft und Industrielle Produktion“ herausgegeben vom Institut für Automobilwirtschaft und Industrielle Produktion an der Technischen Universität Braunschweig).
ii Das universitäre Team (als weitere Autoren treten Christof Backhaus und Jan Dreisbach auf) wird unterstützt von „acurelis consulting“ (das Unternehmen erreicht man laut einem der Studie beigefügten Firmenprofil über Prof. Dr. Backhaus). Zumindest die Veröffentlichung der Studie wird durch die Schaltung einer Werbeseite unterstützt durch die Firma Schäper Sportgerätebau GmbH, Münster.
iii Aufgrund des nur losen Zusammenhangs zwischen Markenranking und den Ausführungen zur Vergabe von TV-Geldern wird hier nicht weiter auf dieses Thema eingegangen.
iv Es hilft den Markenmanagern der Vereine sicher recht wenig weiter, wenn man ihnen basierend auf dem gewählten markentheoretischen Ansatz zur Erhöhung der «Markenstärke» empfiehlt: «Auffrischung alter Quellen der Markenstärke» und «Erschaffung neuer Quellen der Markenstärke», oder konkreter(?)«Erhöhung der Vereinsbekanntheit» und «Verbesserung der Stärke, Vorteilhaftigkeit und Einzigartigkeit der Assoziationen». Da wird wohl nur ein Beratungsauftrag an die «acurelis consulting» wirklich weiter helfen können.
v Der eingangs zitierte Artikel im Handelsblatt listet weitere Abfragekategorien auf; der Zusammenhang mit den in der Studie genutzten drei Kategorien wird nicht deutlich.
vi Letztlich ist die Studie auch methodisch im Detail nicht immer einsichtig. Was bedeutet es beispielsweise, dass jeder Verein jeweils nur von ausgelosten Befragungsteilgruppen bewertet wurde? Das scheint der Tatsache zu widersprechen, dass die Vereine in einer Wettbewerbssituation zueinander stehen, die Befragung also immer vergleichend erfolgen müsste («Wie bewerten sie Verein X im Vergleich zu den anderen Vereinen?»).
vii Die Studie empfiehlt an diesem Punkt die «Neutralisierung negativer Assoziationen».