Es scheint fast so, als hätte Instagram (neben einer Flut von Selfies, Foodporn-Bildern oder Büsis) einen neuen Bildstil erfunden. Wo man nur hinblickt, gibt es nicht nur schöne Landschaften, sondern oft auch Menschen in denselben, die mit dem Rücken zur Kamera in die Betrachtung der Landschaft versunken sind. Der Trend ist unübersehbar, und über seine Herkunft lässt sich nur spekulieren.
Mich erinnert das Ganze an ein Kundenprojekt aus der Zeit vor dem Social Media und Sharing-Hype. Damals durften wir ein Bildkonzept für einen Schweizer Hörgeräte-Hersteller entwickeln. Auch hier kamen wir auf die Rückenansicht. Es ging dabei jedoch weniger um das inszenierte Landschafts-Selfies. Unsere Bildsprache beschäftigte sich mit dem individuellen Wahrnehmen eines Moments und eines Ortes, in diesem Fall natürlich vor allem in einem akustischen Sinne. Während die Konkurrenten glückliche Sonntagsmenschen von vorne zeigten, schauten wir einem Menschen beim Hören zu. Das war neu in der Branche und prägte in der Folge den Markenauftritt des Kunden für die nächsten Jahre.
Aber was erfindet man heute schon neu? Auch als Kommunikationsmensch oder Gestalter ist man geprägt von Bildern, die verankert sind im kollketiven Bewusstsein. Und von solchen, die schon lange vor uns da waren, z.B. in der Kunst.
Das Rücken-Selfie hat eine jahrhundertalte Tradition. Die Kunstgeschichtler sprechen von der Rückenfigur. Diese tauchte immer wieder als bewusstes Stil- und Kompositionsmittel in der Malerei auf. Sie fand schliesslich ihren Meister im deutschen Romantiker Caspar David Friedrich. Dieser entwickelte die Rückenfigur zum zentralen Thema der Landschaftsmalerei. Das bekannteste Bild ist dabei der «Der Wanderer über dem Nebelmeer». Hier ist die Figur zwar das zentrale kompositorisches Element. Aber noch wichtiger ist die Kontemplation der Szenerie. Der Betrachter ist nur Zuschauer, es gibt auch keine Handlung, sondern wir sind Zeuge einer Zwiesprache mit der Natur.

Caspar David Friedrich: Der Wanderer über dem Nebelmeer, 1818, Öl auf Leinwand, Quelle: Wikipedia
Es ist ein langer Weg von C.F. Friedrich zu Instagram. Aber auch die moderne Smartphone-Fotografie greift, bewusst oder unbewusst, auf die Archetypen der früheren Bildermacher zurück. Und wahrscheinlich mehr als das, die modernen Rückenansichten drücken wohl ebenso die Sehnsucht nach Einfachheit, Zeitlosigkeit und Kontemplation aus, so wie das bei Caspar David Friedrich und seinen Zeitgenossen der Romantik der Fall war.
Vielleicht haben wir es aber auch ganz einfach mit einer Art von Selfie zu tun, die in unsere Zeit passt: sich selber von vorne abzulichten scheint billig, das kann jeder. Der bewusste User hat es nicht nötig, sein Gesicht zu zeigen. Denn er muss nicht beweisen, dass er an dem schönen Ort war. Die Landschaft ist wichtiger. Aber so ganz ohne Narzissmus geht es dann doch nicht, und so stellt man sich möglichst mittig ins Bild. Man ordnet sich scheinbar der Landschaft unter, und steht dann doch ganz im Mittelpunkt. Die Selfie Generation wird zum Zentrum einer schönen Welt.