Auf den städtischen Plakatwänden fällt aktuell ein neuer visueller Trend in der Outdoor-Kommunikation auf: viel Weissraum, grosse Typografie und mit Vorliebe etwas blaue oder rote Farbe. Eine neue Nüchternheit, die dem Betrachter etwas gar platt ins Gesicht schlägt. Es wirkt fast so, als ob die Plakatwerber den Flat-Design-Stil von Smartphone und Co für ihr Medium entdeckt haben. Oder ist es gar eine Reminiszenz an die frühe Zeit der Plakatgestaltung, als Typografie das bestimmende grafische Element war?
Mit etwas Abstand betrachtet, zeigt das Plakat aber etwas ganz anderes: eine grosse Ideenlosigkeit, die die Branche ganz offensichtlich erfasst hat. Denn auch inhaltlich können die Plakate nicht überzeugen. „Tesla kaufen? – Nirgendwo günstiger“ steht in grossen Lettern eines unbekannten Wertschriftendepot-Anbieters. Dieser versteckt sich hinter einer generischen Marke und einer viel zu klein geratenen URL. Hier fehlt es nicht nur an der Idee, sondern offensichtlich auch an fehlenden handwerklichen Grundlagen.
Die gegenwärtige Plakatkampagne von Visana macht das nicht wesentlich besser. Die Krankenkasse versucht beispielsweise, mit einem Plakat die Kunden auf ihre neue App aufmerksam zu machen. Es ist generell sehr schwer, Konsumenten mit klassischen Medien auf Online-Kanäle zu locken, und auch der Visana misslingt dies. Denn trotz schöner Markenwiedererkennung mit dem roten Bogen über dem „app“ ist die textliche Auflösung kaum lesbar. Am Strassenrand zückt wohl niemand sein Smartphone, um eine Visana App zu laden. Da schiesst die Mediaplanung wieder einmal mit der Schrotflinte auf eine nebulöse Zielgruppe.
Christian Sutter hat bereits in seinem Blog-Post vor einem halben Jahr eine neue Ehrlichkeit in der Werbung festgestellt. Zumindest wird auf den von Sutter kommentierten digitec-Plakaten die ungeschönte Kundensicht als neue inhaltliche Idee zelebriert. Gestalterisch geht die Kommunikation jedoch im beschriebenen Weissraum-Design der aktuellen Plakatwände unter.
Kann sein, dass ich nun etwas gar kritisch mit unserer Gilde ins Gericht ziehe. Sicherlich ist es zu Zeiten maximaler medialer Überflutung anspruchsvoller geworden, komplexe Botschaften in möglichst einfache Kommunikation zu giessen. Und das Plakat ist nun bekanntermassen nicht das einfachste Medium. So wurde es schon als „Zeitgeistmedium“ bezeichnet, weil es über Jahrhunderte auf gleichbleibendem Format, in gedruckter Form und im öffentlichen Raum unterschiedlichste Inhalte bekannt gemacht hat, und das möglichst im Stil der Zeit.
Ein Blick in die Plakat-Geschichte lehrt uns eins: Ein gut gestaltetes Plakat entsteht aus einer intensiven Auseinandersetzung mit einem Thema und dem Auftraggeber. Dies mündet idealerweise in sorgfältiger formaler Umsetzung und ästhetischer Qualität. Und hier liegt vielleicht der Hund begraben: Es gibt heutzutage wenige Projekte, die es zulassen, diese Auseinandersetzung intensiv zu betreiben. Kostendruck, Zeitmangel und schieres Desinteresse ergeben bescheidene Qualität. Das wird bei einem Plakat besonders „plakativ“ sichtbar.