Einzigartig sein! So der Schlachtruf unserer Zeit. Und das im krassen Widerspruch dazu, dass irgendwie alles doch immer ähnlicher zu werden scheint: Von der Gestaltung von Autos über Ess- und Kommunikationsgewohnheiten bis zu den Ladengeschäften in den Einkaufsstrassen der Innenstädte. Gleichmacherei scheint unsere moderne Welt zu bestimmen.
Ganz so einfach ist dies nicht und eher anders wird es in Zukunft kommen – so die These des Soziologen Andreas Reckwitz in seiner grundlegenden Gesellschaftsanalyse „Die Gesellschaft der Singularitäten“. Schon die Moderne zeichnet sich nach ihm durch die folgende ambivalente Doppelstruktur auf: „Standardisierung und Singularisierung, Rationalisierung und Kulturalisierung, Versachlichung und Affektintensivierung“. Und aktuell dominiert der Drang zur Einzigartigkeit, oder mit seinem Begriff, zur Singularität: „In der Spätmoderne findet ein gesellschaftlicher Strukturwandel statt, der darin besteht, dass die soziale Logik des Allgemeinen ihre Vorherrschaft verliert an die soziale Logik des Besonderen. Dieses Besondere, das Einzigartige, also das, was als nichtaustauschbar und nichtvergleichbar erscheint, will ich mit dem Begriff der Singularität umschreiben.“
Einzigartigkeit, so seine Beobachtung auf der Handlungsebene, ergibt sich nicht einfach irgendwie, sondern wird „durch und durch“ sozial geschaffen. Die entsprechende soziale Technik, so deutet Reckwitz lediglich an, heisst Markenentwicklung. Marken setzen den Anspruch auf Einzigartigkeit durch, sie erschaffen das alles entscheidende „Singularitätskapital“.
Derartiges Singularitätskapital möchten im Rahmen der „Ausweitung der Markenzone“ (so der Titel eines Sammelbandes herausgegeben von Kai-Uwe Hellmann und Rüdiger Pichler) zunehmend auch Städte anhäufen – so die weiterführende Beobachtung. In diesen Tagen können wir zwei Städten bei der Arbeit der Markenbildung vergleichend beobachten: Abu Dhabi und Zürich.
Abu Dhabi
Die aktuelle Nachricht aus Abu Dhabi: die Eröffnung eines monumentalen Kunstmuseums. Versehen mit dem epochalen Anspruch, „ein neues Licht auf die Humanität“ zu werfen (NZZ 14.11.2017). Gebaut von einem Stararchitekten. Versehen mit dem Namen eines weltberühmten Partners. Errichtet mit dem Ziel, kulturelles Wahrzeichen mit weltweiter Leuchtkraft zu werden. Begleitet von dem Vorwurf des Missbrauchs der Kultur für politische Zwecke.
Welche Wirkung erzielt die Nachricht? Bei Google ergibt diese Museumseröffnung 11 Millionen Treffer. Kaum ein Medium der Welt berichtet nicht davon, meist auf ihren Titelseiten und in ausführlichen Beiträgen. Die New York Times titelt: „Louvre Abu Dhabi, a cultural cornerstone where east meets west“ (7.11.2017). Die FAZ (11.11.2017): „Das leuchtende Ei auf der staubigen Insel“.
Es gibt keinen Zweifel: Hier wurde eine attraktive, wenn auch ambivalente, Nachricht mit globaler Reichweite erzeugt. Dank der Zusammenarbeit mit prominenten Partnern. Und in ganz geringem Masse getragen von den eigenen Kommunikationsaktivitäten. Verbreitet wurde die Nachricht vielmehr kostenlos durch Dritte, weltweite Medien, angezogen vom Spektakulären, Widersprüchlichen und Monströsen. Dieses Phänomen wird auch als „Bilbao-Effekt“ bezeichnet. Neuerdings könnte es auch „Trump-Effekt“ genannt werden. In jedem Fall bleibt besonders bemerkenswert die Aussicht auf nachhaltigen Erfolg. Der Erfolg professioneller Markenentwicklung. Reckwitz könnte die Geschichte als Beispiel einer „besonders wirkmächtige(n) Form spätmoderner Singularisierung“ zitieren.
Abschliessend eine Randnotiz. Ausser dem Namen findet die Selbstdarstellung des Museums keine Erwähnung in den Millionen von weltweiten Medienbeiträgen. Wie sieht das Logo aus? Welcher Schrifttyp wird eingesetzt? Welchen Slogan hat das Museum? Wie attraktiv ist die Website, sind die Museumsbroschüren oder die Visitenkarten des Museumsdirektors?
Zürich
Auch aus Zürich wird in diesen Tagen von den Vermarktungsaktivitäten der Destination berichtet: „Zürich schafft seinen Slogan ab“ (NZZ 15.11.2017). Der bisherige Claim der Tourismus-Marke entfällt, das optische Erscheinungsbild wird „entschlackt“, der Schrifttyp Helvetica „schärft“ den Auftritt.
Eine Meldung im Lokalteil der ansässigen Tageszeitungen. Und international in einem Fachmedium: „Rebranding der Tourismusmarke Zürich“ (www.designtagebuch.de). Dort wird die handwerkliche Seite des „Rebrandings“ präsentiert und ausgiebig diskutiert. Das zeitlos-moderne und reduzierte Corporate Design, die Flexibilität des Logosystems und die zentrale Bedeutung der Hausschrift werden ausführlich gewürdigt. Vereinzelt gefeiert: „Feinste Schweizer Gestaltung!“ Mehrheitlich verdammt oder belächelt: „Langweilig, sauber, ordentlich.“
Und die Wirkung? Zürich dürfte sich wiedererkennen: „Das ist authentisch und repräsentiert Zürich grafisch hervorragend.“ Positiv für die „in Zürich (und Region) lebenden“ Leser der handvoll Nachrichten.
Die weltweite Wahrnehmung der Destination Zürich – durch Touristen, Investoren und zukünftige Einwohner – wird von der visuell-verbalen Überarbeitung des eigenen Auftritts der Tourismus-Marke kaum verändert werden. Der eigene Auftritt bewegt im Falle von Destinations-Marken die relevanten Zielgruppen kaum. Dazu sind – und darauf weist der Direktor Zürich Tourismus, Martin Sturzenegger, von den Medien leider fast ignoriert, auch hin – weltweit attraktive Geschichten und starke Kooperationspartner notwendig. Wenn zahlreiche Kooperationspartner im Sinne Zürich`s weltweit kommunizieren und wenn attraktive Geschichten von den Medien international kommuniziert werden – dann „wirkt“ die Tourismus-Marke Zürich auch jenseits der Stadt- und Kantonsgrenzen. Ihr eigener Auftritt muss dabei – etwas polemisch zugespitzt – eigentlich nur nicht „stören“. Darin besteht die kommunikationsstrategische Intelligenz der „schlichten Nüchternheit“ (Tagesanzeiger 15.11.2017) des neuen Auftritts.
Sein bescheidener Preis (unter 200.000 CHF.) ist damit allemal gerechtfertigt. Wirkungsvolle Markenentwicklung für die Destination Zürich hat aber sicherlich höhere Ausgaben zur Voraussetzung. Allein die Namensrechte für das Abu Dhabi Louvre kosten für 30 Jahre 400 Millionen Euro. Während sich Zürich selbst an den niedrigen Kosten des neuen Corporate Designs reibt, setzt Abu Dhabi auf die nachhaltige und werteschaffende Wirkung seiner Investitionen in seine internationale Wahrnehmung. Beide Strategien sind irgendwie einzigartig. Und ähnlich erfolgreich?
Prof. Dr. Jürgen Häusler ist Markenexperte und Mitglied des Verwaltungsrats bei evoq, sowie Honorarprofessor für strategische Unternehmenskommunikation und Chairman von Interbrand Central and Eastern Europe bis zum Eintritt in den Ruhestand.
Bildquelle Logo Zürich, Zürich Tourismus
Bildquelle «The new Louvre museum», Gabriel Jorby