Branding , Design

Bilingualer Vergleich chinesische und lateinische Typografie

Schon in der Antike haben Menschen sich mit Schrift beschäftigt. Heute arbeiten wir in einer global vernetzten Welt, darum hat die Arbeit mit zwei- oder mehrsprachigen Texten eine wichtige Bedeutung und stellt eine Herausforderung für Gestalter dar.

Maggie Blaser

| 18. Juni 2019

Ich bin mehrsprachig aufgewachsen. Meine Muttersprache ist Chinesisch, Deutsch lernte ich mit elf Jahren, als ich in die Schweiz kam. Die typografischen Unterschiede zwischen dem lateinischen Alphabet und der chinesischen Schrift finde ich darum sehr spannend. Es treffen zwei Schriftsysteme aufeinander, die unterschiedlicher kaum sein könnten. In diesem Blogtext zeige ich ein paar einfache, interessante Vergleiche auf.

Das Alphabet

Das lateinische Alphabet hat 26 Buchstaben, in der deutschen Sprache gibt es inklusive Umlaute (Ä, Ö, Ü) 29 Buchstaben. Das chinesische Schriftsystem umfasst mit allen verwendeten Charakteren der modernen Sprache etwa 9'000 Schriftzeichen, insgesamt existieren etwa 100'000 Schriftzeichen. Das heisst, wenn ein chinesischer Schriftgestalter/in einen Font gestalten will, muss er/sie mindestens 9'000 Zeichen entwickeln, was meistens Jahre dauert. Daher sind die chinesischen Schriften sehr teuer und weitaus begrenzter als die lateinischen Schriften.

Die Zeichen

Im lateinischen Alphabet gibt es Versalien (Grossbuchstaben) und Gemeine (Kleinbuchstaben). Nicht so bei chinesischen Schriftzeichen: Hier unterscheiden wir zwei Arten von Zeichen, traditionelle und vereinfachte. Kurzzeichen (vereinfacht) sind Zeichenformen, die in China in den 1950er Jahren aufkamen und zum offiziellen Standard erklärt wurden. Das Ziel war, das Erlernen der Zeichen zu erleichtern und die Alphabetisierungsrate der Bevölkerung zu erhöhen. Die Kurzzeichen sind heutzutage in Festlandchina, Singapur und Malaysia in Gebrauch, die Langzeichen (traditionell) in Taiwan, Hongkong und Macau. Ich persönlich schreibe in Langzeichen, einerseits weil ich aus Hongkong komme, anderseits weil ich die Langzeichen schöner finde. Aber in der Schule habe ich Kurzzeichen gelernt, da ich in Festlandchina zur Schule gegangen bin.

Grundformen des Buchstabens/Zeichens

Die lateinischen Buchstaben basieren auf verschiedenen geometrischen Grundformen wie Dreieck, Rechteck und Kreis. Deswegen müssen die Wort-/Zeichenabstände im Text manuell angepasst werden. Die einzelnen Buchstaben weisen pro Zeichen einen bis vier Striche auf. Die chinesischen Schriftzeichen haben ihre Wurzeln in der bildlichen Darstellung von Dingen, darum werden sie auch als logografische Zeichen bezeichnet. Sie funktionieren auch kontextunabhängig. Alle Zeichen haben die gleiche Grundform: Das Quadrat, auch Kalligrafiegitter genannt. Pro Zeichen versammeln sich bis zu 64 Striche auf diesem stets gleichen Raum.

Leserichtung

In den lateinischen Sprachen werden Texte von links nach rechts geschrieben und gelesen. Beim Chinesischen wird ein waagrechter Text ebenfalls von links nach rechts geschrieben und gelesen, aber ein senkrechter Text (meistens traditionelles Chinesisch) wird von oben nach unten geschrieben und von rechts nach links gelesen.

Der Wortabstand

Bei den lateinischen Sprachen werden Buchstabenabstände vom Schriftdesigner individuell bestimmt. Chinesische Texte werden ohne Wortabstände gesetzt. So entstehen lange Zeichenketten, welche die gesamte Zeilenlänge lückenlos ausfüllen. Zeichenabstände entstehen durch den mitgegebenen inneren Weissraum. Anfang und Ende eines Wortes ist im Satz nicht ersichtlich, man erkennt diese nur intuitiv.

 

Fazit

Es wäre spannend dieses Thema zu vertiefen und zu analysieren, wie wir unterschiedliche Schriftsysteme visuell kombinieren können. Diesbezüglich sind noch wesentliche Fragen offen. Für mich ist es wichtig, mich nochmals daran zu erinnern, dass unsere Kommunikationswelt einem interkulturellen Austausch unterliegt. Durch die Auseinandersetzung mit Schriften werden immer wieder neue Anforderungen für Publikum und Verfasser entstehen. Die multilinguale Typografie ist immer mehr verbreitet und ich denke, dass sich dieses Gebiet zukünftig sehr weit entwickeln und kreativen Raum für Gestalter/innen bieten wird.

 

Quellen
https://de.wikipedia.org/wiki/Chinesische_Schrift
https://de.wikipedia.org/wiki/Chinesische_Sprachen
blog.linotype.com/2011/10/296-seiten-fachchinesisch/
https://de.wikipedia.org/wiki/Morphem
Buch Fachchinesisch Typografie,  Susanne Zippel, Verlag Hermann Schmidt
https://de.wikipedia.org/wiki/Kurzzeichen#Kurzzeichen_&_Langzeichen
http://mittelpunkt-zhongdian.de/buch/inhalt/
https://www.kancloud.cn/digest/the-complete-beginners-guide-to-chinese-fonts/84528

Kontaktformular

Kontakt