Gastbeiträge

Aufgelesen XIV. Die eigene Zukunft gestalten. Als resiliente Region?

Selbst diejenigen, die nationale (Alp)Träume hegen, wachen in einer globalisierten Welt auf. Für Regionen hat diese Welt ambivalente Begleiterscheinungen: Menschen werden mobiler, können leichter (oder müssen dringender) kommen oder gehen, finanzielle Ressourcen finden problemloser Anlage- oder Fluchtmöglichkeiten, Waren machen die Umgebung bunter oder gleichförmiger, verdrängen Gewohntes vor Ort oder eröffnen Chancen in der Ferne.

Jürgen Häusler

| 14. Mai 2019

Welche Ergebnisse diese globalen Transformationsprozesse für die einzelnen Regionen jeweils mit sich bringen, hängt nicht zuletzt vom Gestaltungswillen und der Gestaltungsfähigkeit der jeweiligen Region selber ab. Soll der Wandel von der Region nicht «einfach» erduldet werden oder gar zu ihrem Niedergang führen, ist von ihr vor allem Resilienz gefordert, nämlich die Fähigkeit, auch angesichts kritischer Herausforderungen über genügend und hinreichend grosse Reaktionsspielräume zu verfügen.

In der Beraterbranche steht Resilienz als Schlachtruf auf den vorderen Plätzen der Verlautbarungen («Resilienztraining» finden einschlägige Suchmaschinen fast 100'000 Mal im Netz, die englische Fassung taucht über 100'000'000 Mal auf). Entsprechende Wortwolken bilden die kommunikative Begleitflotte: Robustness, Preparedness, Awareness, Flexibilität, Diversität, Widerstandskraft, Agilität, Innovativität, …, Anpassungsfähigkeit. Interessante Forschungsfragen bewegen die seriösere wissenschaftliche Welt: Kann man sich (als Mensch oder Organisation) Resilienz aneignen? Wie? Oder «ist» man einfach (mehr oder weniger) resilient? Woran erkennt man Resilienz? Oder bemerkt man sie gar erst ex post, also wenn sie sich in der erfolgreichen Krisenbewältigung gezeigt hat. Inwiefern ist das Konzept übertragbar – vom Individuum über die Organisation bis zur Region? Und gilt die Radfahr-Regel: Wenn man die Fähigkeit einmal besitzt, kann man sie dann jederzeit wieder abrufen?

Für Regionen liegen zu diesen Fragen eine Reihe von wissenschaftlichen Studien vor (beispielsweise schon 1993 vom Wirtschaftsgeograf Gernot Grabher; aktueller von den Historikern Ingo Köhler und Benjamin W. Schulze, 2016, sowie Eric Häusler, 2019). Neugierig macht vor allem die letzte Frage: Bewahren sich Regionen, die sich in der Vergangenheit erfolgreich an schwierige Herausforderungen angepasst haben, die Eigenschaft der Anpassungsfähigkeit: etwa «Brauerei-Cluster» in Dortmund; ein Kohle-und-Stahl-basierter Industriedistrikt im Ruhrgebiet oder das Weltzentrum der Stickerei in St. Gallen? Allgemeiner gefragt: Erweisen sich Regionen zukünftig als krisenresistenter, wenn sie sich in der Vergangenheit schon einmal neu erfinden mussten? Wenn zum Beispiel eine Bergregion zur weltweit erfolgreichen Tourismusdestination geworden war und als solche in eine Krise gerät? Die empirische Antwort – mit theoretischer Erläuterung – ist eindeutig: nein!

Was wurde empirisch beobachtet und was lässt sich theoretisch zur Begründung anfügen? Auf den Punkt gebracht: Eine positive Beziehung zwischen einer erfolgreichen Anpassungsleistung und der zukünftigen Anpassungsfähigkeit existiert nicht notwendigerweise. Das Gegenteil ist sogar wahrscheinlich(er): die erfolgreiche Anpassung degeneriert im Zeitverlauf zur mächtigen Gewohnheit, die einstigen kreativen Stärken werden zu Hindernissen, die erneuten Wandel behindern. Wie geschieht dies? Indem in der Region diejenigen, die gemeinsam einst die schwierige Anpassung gemeistert haben, in eine gegenseitige – durchaus auch angenehme, weil bekannte, gewohnte und berechenbare – Abhängigkeit voneinander geraten. Diese machen den grenzüberschreitenden empathischen Blick auf Andere, Neues, Fremde unnötig oder sogar unmöglich. Weil im Nachgang zur erfolgten Anpassung ein attraktives gemeinsames Weltbild entsteht, ein entspannender und identitätsbildender gruppenweiter Tunnelblick, mit unhinterfragten Konventionen darüber «wie wir das machen». So (ver)schwindet selbst die als Voraussetzung erfolgreicher Krisenbewältigung notwendige Fähigkeit, die Krise überhaupt als solche rechtzeitig und korrekt zu erkennen («es wird schon wieder besser werden» erscheint natürlich attraktiver als «schwere Strukturkrise»). Das innig geteilte Weltbild erschwert die Suche und das Entwickeln von strategischen Alternativen. Der kuschelige Konsens und/oder der politische Filz ersticken kritische Diskussionen und konstruktive Kreativität. Eine erfolgreiche Anpassungsleistung in der Vergangenheit entwickelt sich so im Laufe der Zeit zu einem Prozess der «Involution» (im Gegensatz zur Evolution). Wichtige Fähigkeiten sterben – weil dauerhaft ungenutzt – ab, der eingeschrittene Pfad kann nicht mehr verlassen werden, man ist kognitiv eingesperrt im Status Quo, verharrt unbewegt und unbeweglich angesichts der Krisenbedrohungen von aussen. Eines zeigt sich dann zumindest eindeutig: es fehlt an Resilienz in der Region!

Diese dialektische Beziehung zwischen einst erbrachter Anpassungsleistung und aktuell notwendiger Anpassungsfähigkeit für die Bewältigung der Herausforderungen der Zukunft machen den dauerhaften oder lang andauernden Niedergang einst erfolgreicher Regionen aufgrund binnenstruktureller Fehlentwicklungen nachvollziehbar. Ein Radfahr-Effekt sollte also nicht unterstellt werden. Ganz im Gegenteil: was eine Region einst stark gemacht hatte, kann unter der Hand zur Fussfessel werden, wenn es um die erneute Notwendigkeit des sich-neu-Erfindens geht.

Oft braucht es einen zweiten Weckruf. Erst dann beginnen sich verkrustete enge Verbindungen mühsam aufzulösen. Erst dann und sicherlich nur allmählich können sich neue, lockere Netzwerke entwickeln. Konstruktive Konflikte und ein gesundes Mass an kreativem Chaos schaffen dann die Voraussetzungen dafür, dass sich neue Interpretationen der Lage, eine neue Weltsicht, bilden können. So wird das Lernen neu gelernt. Die Falle der (fehlgeleiteten) Spezialisierung kann dann überwunden werden, ein breiteres Angebotsspektrum kann entwickelt werden, neue Angebotsfelder beginnen sich Stück für Stück zu öffnen. 

In der Region sind sowohl einzelne Akteure als auch die Region insgesamt (heraus)gefordert. Liebgewonnene Klarheiten verlieren ihre Gültigkeit. Investiert werden muss neu in durchaus redundante, auf den ersten Blick fragmentierte und vielfach sich überlappende Aktivitäten und Projekte. Ein klares und starres Ziel hilft nicht mehr weiter. Stattdessen müssen Bedingungen geschaffen werden, um die Erfolgschancen der Neuorientierung, des sich wieder-neu-Erfindens, zu erhöhen: verbesserte regionale Infrastrukturen, intensivierter Wissenstransfer.

Schliesslich muss der Blick nach Aussen neu ausgerichtet werden. Es reicht nicht mehr, sich darauf zu verlassen, die bekannten und gewohnten Gesichter immer wieder zu sehen. Ausschau halten muss man insbesondere auch nach gänzlich neuen und unbekannten Zielgruppen. Sich-neu-erfinden orientiert sich zwangsweise daran, diese neuen Zielgruppen erfolgreich anzusprechen. Mit einem Angebot, das für diese attraktiv ist, das diesen glaubwürdig erscheint, das diese so vielleicht gar nicht erwartet hatten, das diese von anderen so noch gar nicht kannten. Gelingt all dies – von der Neupositionierung der Regionalmarke über die Ausweitung des Angebotsspektrums bis zu innovativen Marketingmassnahmen –, dann wird die Anpassung an neue Hausforderungen gelingen können. Und die Region wird bewiesen haben, dass sie ein hohes Mass an Resilienz auszeichnet. 

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