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Migros – Ein M schlanker

Erleben wir gerade die Selbstdemontage einer Schweizer Traditionsmarke? Es ist auf jeden Fall kein schöner Anblick, wenn man vor einer gerade geschlossenen Filiale eines Migros-Fachmarkts steht.

Adrian Schaffner

| 01. September 2024

Auf Plakaten wird unter anderem auf «MediaMarkt» verwiesen, wenn man auch künftig «stationär» einkaufen möchte. Die Tage der Migros-Fachmärkte sind gezählt und die Konzernspitze hat bereits anfangs Jahr kundgetan, dass man sich auf das Kerngeschäft beschränken will. Dazu gehören neben dem klassischen Supermarkt mit Einkaufswägelchen die Finanzgeschäfte der Migros Bank oder Gesundheitsangebote der Winterthurer Medbase-Gruppe.

Nun gilt es also ernst: Die Filetstücke von melectronics schluckt MediaMarkt und SportX wandert zu Dosenbach-Ochsner. Vorerst unklar bleibt, wer sich für das Reisegeschäft von Hotelplan oder die Fachmarktformate Micasa, Do it + Garden und Bike World interessieren könnte. Ebenfalls unter den Hammer kommt Mibelle, der Migros eigene Kosmetikproduzent, der unter anderem das Kultprodukt «Handy» herstellt. Betroffen von den Verkäufen und Schliessungen sind nicht nur die Kunden. Mehrere Tausend Arbeitsstellen werden verschoben und laut «Blick» bangen rund 2500 Mitarbeitende um ihre Jobs.

Als Migros-Kind fragt man sich schon, wie das alles so weit kommen konnte. Der Migros-Tanker, unangreifbar gross und mächtig, schlägt Leck und fängt an zu schlingern. Das Management wirft Ballast über Bord und schreckt auch nicht davor zurück, Errungenschaften von Migros-Gründer «Dutti» Duttweiler – wie zum Beispiel Hotelplan – zu verhökern. Das gibt zu denken. Denn hier geht es nicht einfach um ein unrentables Geschäft, hier geht es um den Kern der Marke. So erstaunt es, dass die Verantwortlichen wie Michel Gruber, Präsident der Hotelplan-Gruppe, oder Migros-Präsidentin Ursula Nold nicht an eine interne Zukunft von Hotelplan glauben. In der NZZ ist sogar zu lesen, dass dieser Wandel ganz im Sinne von Migros-Gründer Duttweiler sei. Zudem wird gemunkelt, dass sich die Migros-Verantwortlichen scheuen, einen Umbau der Reisesparte unter eigener Ägide durchzuführen. Eine Umgestaltung wäre jedoch dringend nötig, um wieder erfolgreich geschäften zu können.

Fehlt es einfach an Mut oder Ideen?

Markenarbeit kann manchmal auch schmerzvoll sein. Und so ist es einfacher zu behaupten, dass ein Geschäft nicht mehr zum Kern gehört. Aber fehlt es der Führungsriege nicht einfach an Ideen? Oder zu Zeiten in denen Zahlen kurzfristig stimmen müssen vielleicht auch ganz einfach an Schnauf und Mut? Gerade die genossenschaftlich aufgestellte Migros mit dem Konzept des «sozialen Kapitals» könnte sich um die Gesetze eines börsenkodierten Unternehmens futieren.

Duttweiler hatte stets Ideen. In den krisengeschüttelten Vorkriegsjahren zum Beispiel wollte er der bedrängten Schweizer Hotellerie helfen und gleichzeitig finanzschwachen Familien Ferien ermöglichen. Er organisierte Ferien-Extrazüge ins Tessin für 65 Franken die Woche – alles inklusive. Ein voller Erfolg. Bereits im ersten Jahr wurden 52 ́648 Wochenarrangements verkauft und kurze Zeit später war das Geschäft unter dem Namen Hotelplan bereits rentabel.

Dutti war sicherlich kein bequemer Zeitgenosse und musste auch viele Niederlagen einstecken. Aber er hatte ein klares Sendungsbewusstsein, welches in der DNA der Marke Migros nach wie vor erstaunlich tief verankert ist. Das hat kürzlich die Abstimmung rund um das geltende Alkoholverbot in den Migros-Filialen gezeigt. Entgegen der Empfehlung der Migros-Spitze, die auf eine veränderte soziale Situation und geänderte Konsumgewohnheiten verwies, wurde das Verbot aus dem Jahre 1928 haushoch und schweizweit durch die Genossenschafter:innen bestätigt. Eigentlich überraschend, da alle wissen, dass man sich in jedem Migrolino oder Denner – gleich um die Ecke – Hochprozentiges beschaffen kann und das Geld schliesslich in die gleiche Kasse fliesst.

Markenarbeit bedeutet konstante Erneuerung, Entwickeln von Ideen, Nutzen von Opportunitäten und nie stehen bleiben. Markenarbeit bedeutet aber auch die Pflege profilierender Eigenheiten und das Wissen um Vision und Werte. Insbesondere bei der Migros gehört zur Marke, dass stets der Mensch im Zentrum wirtschaftlichen Handelns steht, wie es Gottlieb und Adele Duttweiler in ihren 15 Thesen festgehalten haben. Rund um die Alkoholdebatte hat der ehemalige M-Cheflobbyist Martin Schläpfer in Erinnerung gerufen, dass spezifische Eigenheiten die Identität der Migros ausmachen: «Wir sind heute nicht nur im Wettbewerb zwischen Produkten und Dienstleistungen. Es geht auch immer mehr um Werte.»

Eigenständige Werte und Ansichten hat Duttweiler seit jeher verkörpert und als Folge davon auch die Marke Migros. Hoffen wir, dass das heutige Management diese einzigartige Identität beim laufenden Umbau nicht völlig vergisst!

 

Adrian Schaffner für einen Beitrag für das Agenturnetzwerk ASW – erschienen im persönlich-Magazin, Ausgabe September 2024

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