Agentur

Welcome Back Homies

Die Arbeitsplätze sind seit Monaten verwaist. Der Gummibaum steht verdorrt in einer Ecke. Die Kaffeemaschine hat Staub angesetzt. Es ist wahrlich keine Freude, wenn man derweil einen Blick in Schweizer Büros wirft…

Adrian Schaffner

| 04. August 2021

Obwohl der Bundesrat vor Wochen die Homeoffice-Pflicht gelockert hat, ist hierzulande laut Umfragen nur ein geringer Teil der Kreativen wieder regelmässig in den Agenturbüros anzutreffen. Knapp die Hälfte der Agenturen überlässt es gemäss einer Umfrage komplett den Mitarbeitenden, ob und wann sie wieder ins Office zurückkehren. Die Agenturszene zeigt sich generell eher zurückhaltend, was «new normal» betrifft.

 

My home is my office

Freelancende kennen das regelmässige Arbeiten zuhause schon seit eh und je. Nun haben auch Festangestellte die Vorzüge der flexiblen Heimarbeit entdeckt und möchten sie – abhängig von der Raum- und Familiensituation – nicht mehr unbedingt hergeben. Die digitalen Kanäle und Austauschplattformen funktionieren und kundenseitig hat man sich ähnlich eingerichtet. Kurze Video-Calls fördern die Effizienz und zwischendurch kann man auch noch schnell die Waschmaschine anwerfen und das Büsi füttern. Im endlosen Zoom-Meeting merkt es ebenfalls niemand, wenn parallel die Mails gelesen werden oder ein LinkedIn-Beitrag lockt – der Blick bleibt dem Bildschirm gleichermassen zugewendet.

So stellt sich als Agentur auch schnell mal die Frage, ob es all die schicken Büros überhaupt noch braucht? Oder ob wir nur noch auf die virtuelle Präsenz setzen und konsequent Prozesse und Austausch digitalisieren? Physis bedeutet Aufwand und wenn man sich doch mal treffen muss, kann man das auch gleich kundenseitig auslagern. Der vielbeschworene Wandel kann endlich vollzogen werden. Jetzt – und das gleich richtig!

 

Die neue Einsamkeit

Bevor wir nun das Büromobiliar auf Ricardo verticken und den Mietvertrag künden, lohnt sich ein Blick auf eine generelle Entwicklung – und nicht nur auf die vergangenen Pandemie-Monate. Diana Kinnert hat sich in ihrem soeben erschienen Buch «Die neue Einsamkeit» intensiv damit beschäftigt, wie die Digitalisierung von Beziehungen zu einer «kollektiven Unverbundenheit» führt. Sie beschreibt den grassierenden Verlust sozialer Orte, der nicht nur in geografischem Sinne zu deuten ist. Und sie demontiert das «Informationszeitalter», das geprägt sei durch Fake News, verschwörerische Mythen oder Einzelkämpfertum und nichts mit wahrer Informiertheit, Wissen und echtem Austausch zu tun habe.

Nehmen wir Kinnerts Thesen ernst und antizipieren ihre Ideen mit der Office@Home-Realität, dann stellt sich die Frage, ob es nicht spätestens jetzt an der Zeit wäre unsere «Solisten-Käfige» wieder zu verlassen. Das Konzept «Agentur-Büro» hat aus meiner Sicht als sozialer und kreativer Ort keinesfalls ausgedient. Persönliche Begegnungen sind nicht substituierbar, der informelle Austausch schafft nachhaltige Beziehungen. Nähe und unmittelbarer Kontakt bewirken Reibung; daraus resultiert Energie für Inspiration und Innovation. Mirko Borsche von der renommierten Münchner Agentur Bureau Borsche sagt in der «Page» dazu: «Homeoffice und Abstandhalten sind für einen kreativen Workflow der absolute Killer.»

Eine Postcorona-Agentur wird sich aber auch wandeln – vielleicht wandeln müssen. Ich sehe drei Punkte mit Relevanz. Erstens frische Raumkonzepte, wie beispielsweise einer Lounge im ehemaligen Chefbüro, damit der Austausch aktiv gefördert wird. Zweitens neue individuelle Arbeitsmodelle, damit man dem Wunsch nach Konzentration ausserhalb der vier Bürowände und Interaktion im Agenturgetummel gerecht werden kann. Und drittens ein Upcycling von bestehenden Ritualen und Formaten, um einer erneuerten AgenturIdentität nachhaltig Vorschub zu leisten.

Also: Welcome Back Homies! Zurück in die Agentur, erfindet euch neu, die Gelegenheit ist besser denn je.



Illustration: Saija Sollberger
Original erschienen im Persönlich 06/07 2021

Kontaktformular

Kontakt